Am meisten genießt Anna Hinze die Momente kurz nach einem Wettkampf, wenn der Adrenalin-Rush noch da ist und sie und ihr Hund wieder nur zu zweit sind, gemeinsam auslaufen, sich anschauen – und beide wissen, dass sie einen guten Lauf gemacht haben.
"Dann spüre ich eine tiefe Verbindung zu meinem Tier", sagt die Agility-Trainerin aus Lindhorst in Niedersachsen. "In diesem Moment ist man ein ganz krasser Teampartner. Man weiß, dass man dasselbe Ziel vor Augen hat. Es ist ein unglaubliches Gefühl."
Agility-Europameisterin und Siegerin der US-Open
Anna Hinze trainiert Hundesportlerinnen und Hundesportler mit ihren Tieren und nimmt selbst mit ihren Hunden an Wettbewerben teil. Ihre größten Erfolge waren – bisher – die Titel "Europameister im Team" und "World-Agility-Open-Sieger" (2019), einige Einzelmedaillen und ihr Sieg bei den US-Open in Florida (2023). "Das war ein besonders cooler Tag", erinnert sie sich. "Fast wären meine Hündin Move und ich gar nicht ins Finale gekommen. Erst über die Last-Chance-Runde haben wir uns qualifiziert und dann das Finale gewonnen. Und das alles an Moves zweitem Geburtstag!"
Wenn man Anna Hinze fragt, wann sie mit Agility angefangen hat, muss sie weiter ausholen. Bereits als Sechsjährige hat sie sich ein Haustier gewünscht. "Mein Vater verstarb früh und ich sehnte mich nach einem besten Freund und einem Hund", erzählt sie. Auch merkte sie, dass sie Spaß daran hatte, Tiere zu trainieren: "Ich brachte den Heidschnucken vom benachbarten Bauernhof bei, über Stöcker zu hüpfen." Mit 12 Jahren besuchte sie zum ersten Mal ein Agility-Turnier und fing Feuer: "Ich wollte einen Border Collie haben, weil ich gesehen habe, dass das die Hunde sind, die im Turnier richtig schnell sind. Mit denen sieht das nach richtig viel Spaß aus."
Was ist Agility? Lies in unserem Lexikon nach.
Start ins Agility: Der erste Hund
Nur wenig später bekam sie ihren ersten Hund: "Einen Terrier!", sagt sie heute und grinst. Also keinen schnellen Border Collie. Noch nicht. "Luna musste alles mitmachen. Jeden Tag ging es auf den Hundesportplatz." Dabei war der Terrier "nicht der motivierteste Hund". "Aber er war ein guter Lehrmeister", sagt Anna Hinze. Vor allem lernte sie durch ihn, wie sie Tiere für den Hundesport motivieren und überzeugen kann, mit ihr zusammenzuarbeiten.
"Das läuft über Belohnung", erklärt sie. "Der Hund muss verstehen, dass er eine Belohnung bekommt, wenn er mitarbeitet." Später könne ein sogenannter "transfer of value" geschehen: Der Wert der Belohnung überträgt sich auf das Verhalten selbst und das Verhalten selbst wird belohnend, weil es oft genug mit der Belohnung gepaart wurde. Nach und nach könne man die Belohnung etwas abbauen, also zum Beispiel weniger Leckerchen geben.
Mit 17 bekam Anna Hinze schließlich ihren zweiten Hund: Jive, einen Border Collie. Endlich. "Mit dem ging es dann richtig los." Mittlerweile hat sie vier Hunde im Team, nimmt an vielen Wettbewerben teil und bietet mit ihrem Unternehmen "Agility Campus" Onlinetraining, Einzel- und Gruppenstunden sowie Workshops und Seminare an. In ihren Trainings arbeitet sie "belohnungs- und verständnisbasiert": Ihr ist wichtig, dass der Hund die einzelnen, kleinen Schritte versteht. Das Training soll nachhaltig sein.
Faszination Agility: Parcours auf Tempo
"Besonders gut gefällt mir im Agility die Kombi aus Hundetraining und dem Handling. Mit Handling meine ich die eigene Sportlichkeit, also wie gut ich den Hund im Parcours führe", sagt sie. "Die Übungen in Wettkämpfen sind sehr komplex und immer neu." Schnelligkeit ist gefragt: Den Übungsaufbau lernt sie erst kurz vor dem Wettkampf kennen. Der Hund rennt in einem schnellen Tempo durch den Parcours. "Da muss ich schnell reagieren und mich sehr anstrengen, um einen fehlerfreien Lauf zu schaffen." Eine große Herausforderung, die immer wieder von Neuem beginnt: "Hat man es mit einem Hund weitgebracht, geht er in Rente – und man fängt mit einem neuen Hund von vorne an", sagt Anna Hinze und lacht.
Agility kann man mit fast jedem Hund machen, weiß die Trainerin. Das Tier müsse eine gute körperliche Fitness und ein normales Gewicht haben. Einzig kurzschnäuzige, kurzatmige Rassen und sehr große, schwere Hunde würden sich nicht so gut eignen. "Die Tunnel im Parcours haben einen Durchmesser von 60 Zentimeter. Wenn ein Hund 70 Zentimeter groß ist, muss er sich also jedes Mal ducken, um durchzukommen." Das könne zu einer starken Belastung der Gelenke führen. Für größere Rassen sei der neue Hundesportrend "Hoopers" besser geeignet. Dort trainiert man mit größeren Tunneln und Bögen.
Hilfreich ist beim Agility auch, wenn der Mensch ebenfalls körperlich fit ist: "Je weniger fit der Mensch ist, desto besser muss er den Hund ausbilden und auf Distanz führen können." Oder, positiv ausgedrückt: Agility ist ein Sport, den Menschen unabhängig von ihrer Fitness, Größe und ihres Alters ausführen können. "In diesem Jahr gibt es erstmals eine Senioren-Weltmeisterschaft mit zwei Altersgruppen, einer ab 55 und einer ab 65 Jahren", sagt Anna Hinze. Auf der anderen Seite starten auch Kinder und Jugendliche bei Turnieren. Auch gibt es die Para-Agility-Weltmeisterschaft für Menschen mit Behinderungen.
Der Einstieg ins Agility-Training
Zu Beginn des Trainings gilt es herauszufinden, was den Hund motiviert: Wie ist sein Spieltrieb? Wie ist sein Futtertrieb? Hat ein Tier gar keine Bedürfnisse, sei es schwierig. "Dann kann man das Training möglichst einfach gestalten, um die Motivation zu wecken oder hochzuhalten, und erst einmal mit Laufen starten." Anna Hinze unterrichtet heute nur noch wenige Anfänger. Für Menschen und Hunde, die völlig neu in den Hundesport starten, hat sie einen Onlinekurs entwickelt. "Der ist so konzipiert, dass der Fokus auf dem Sporthund liegt, ohne dass es körperlich belastend wird." Für Hundesportbeginner hält sie das Onlinetraining für die bessere Variante, weil sie auf diesem Wege in kleinen Schritten, jeden Tag ein paar Minuten trainieren können.
Anna Hinzes Onlinekurs auf Petmos: Basics für Sporthunde
An ihren Präsenzseminaren nehmen meistens Menschen teil, die schon Erfahrung haben und ihren – mindestens – zweiten Hund ausbilden wollen. Darunter sind sehr unterschiedliche Hunde, aber oft sportliche Rassen wie eben Border Collies. Wer Agility mit seinem Hund macht, fordert ihn mental und körperlich. Aber auch für den Menschen ist der Sport eine große mentale und strategische Herausforderung: "Besonders schwierig ist für meine Kunden, sich die komplexen Parcours zu merken", sagt Anna Hinze. Auch sie spielt vor Wettbewerben immer wieder die Laufstrecke im Kopf durch, um zumindest geistig möglichst gut darauf vorbereitet zu sein. Hat man die ersten Erfolge erreicht, kann Agility ähnlich wie ein Glücks- oder Computerspiel wirken: Man will mehr, das nächste Level erreichen. Anna Hinze kennt das aus eigener Erfahrung.
Eine starke Agility-Community
Aber auch die Community hält viele Menschen mit ihren Hunden bei der Stange: "Die Agility-Community ist gut vernetzt. Wir treffen uns bei Turnieren. Einige reisen mit ihrem Camper an, grillen abends zusammen. Agility ist ihr Lifestyle, ihr soziales Umfeld." Wenn sich dann Erfolge einstellen, umso schöner. Auch Anna Hinze ist viel on Tour: "Zu 50 Prozent bin ich nicht zu Hause, sondern unterwegs, im Camper, im Hotel, bei Freunden untergebracht oder auf Reisen." Zur anderen Hälfte besteht ihre Arbeit aus Trainingstagen, die meistens vollgepackt sind: Acht bis zehn Stunden Training sind keine Seltenheit. "Dann haben meine eigenen Hunde einen eher langweiligen Tag, weil ich nicht dazukomme, mit ihnen zu arbeiten."
Trotz der Wettbewerbe gebe es in der Szene wenig Neid und Konkurrenzdenken: "In erster Linie läuft man ja gegen den Parcours und nicht gegen die anderen Teilnehmer. Fehlerfreiheit steht an erster Stelle, die Zeit kommt erst danach." So hätten auch langsamere Hunde durchaus eine Chance.
Sicherheit und Tierschutz im Agility
Was sich in der Szene in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat: "Das Hundewohl steht im Mittelpunkt. Die Tiere bekommen oft Osteopathie, Physiotherapie und Fitness", sagt Anna Hinze. Agility-Hallen und Geräte seien mittlerweile gelenkschonend und sicherer gebaut. "Das ist nicht mit dem huckeligen Rasenplatz von früher zu vergleichen." Das Verletzungsrisiko sei geringer. "Den Veranstaltern ist sehr daran gelegen, gute Bedingungen zu schaffen", meint Anna Hinze. Denn: Unfälle passierten selten. Wenn aber einer passierte, dann bekomme er über die Vernetzung der Community auf Social Media oft viel Aufmerksamkeit. Keine gute Werbung für die Halle.
Besonders aufgeregt ist Anna Hinze nicht etwa, wenn sie mit einem jungen Hund zum ersten Mal bei einem Wettbewerb antritt. "Dann bin ich gelassen. Dann sind wir ja vor allem angetreten, um die Erfahrung mitzunehmen." Wenn sie mit einem erfahrenen Tier beim Wettbewerb gut mithalten kann, sei das schon aufregender. "Aber auch dann bin ich nicht meganervös, sondern super fokussiert."
Ihr Traum ist es, es einmal auf die Weltmeisterschaft zu schaffen. "Da war ich noch nie. Die Qualifikation ist in Deutschland superschwer, weil wir die führende Agility-Nation sind und die Konkurrenz so groß ist." Um die Qualifikation zu schaffen, müssten sie und ihr tierischer Teampartner einen perfekten Tag haben, wie bei der US-Open, als letztendlich alles glatt lief.
Enge Bindung durch Agility
Durch den Hundesport hat Anna Hinze es geschafft, zu ihren Hunden Vertrauen und Kommunikation auf einer ganz anderen Ebene aufzubauen. Ihr Sheltie "Move" war am Anfang überhaupt kein menschenbezogenes Tier: "Ihr Interesse an mir war nicht so groß, sie ging auch gerne mal eigene Wege", erzählt Anna Hinze. Irgendwann sei das gekippt. Durch die Zusammenarbeit, das Clickertraining und das Training an Geräten habe sich das Verhalten der Hündin geändert. "Jetzt ist Move mein loyalster Hund, mein Schatten."
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