Das Tierheim war in ihrer Kindheit ihr "zweites Zuhause": Dr. Julia Brinkmann und ein Werdegang ohne Hunde – das ist nur schwer vorstellbar. Gleichzeitig sagt die Tierärztin und Hundetrainerin mit Schwerpunkt auf Verhaltenstherapie: Man solle sich gut überlegen, ob ein eigener Hund gerade ins Leben passt. Sie hat oft genug mit Fällen zu tun, in denen die Tier-Mensch-Beziehung nicht reibungslos verläuft.
"Wir müssen aufhören, davon auszugehen, dass Tiere das toll finden, was wir toll finden", sagt Julia Brinkmann. Ihre Erfahrung als Hundetrainerin: Am schwierigsten zu behandeln sind Hunde, die Bezugspersonen haben, die es gut mit ihnen meinen, aber im Grunde an den Bedürfnissen des Lebewesens vorbeihandeln. Wie passiert das? "Viele Hundehalter projizieren ihre Erwartungen und Wünsche auf die Tiere. Was das Gegenüber braucht, nehmen sie nicht wirklich wahr."
Heute ist Julia Brinkmann Tierärztin, Diplom-Pädagogin und Hundetrainerin. Für die Länder NRW und Niedersachsen nimmt sie Verhaltensüberprüfungen und Wesenstests ab. Auch führt sie Eignungstests für Besuchshunde durch. Zurzeit macht sie außerdem eine Weiterbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie kennt sich also mit dem Verhalten beziehungsweise der Psyche von Menschen und Tieren aus.
Kleine, lustige Miniatur Bullterrier?
Das Thema "Erwartungen" steht im Zentrum ihrer Arbeit als Verhaltenstherapeutin. Auch in Bezug auf ihre eigenen Hunde beschäftigt sie das Thema immer wieder. Denn Julia Brinkmann lebt mit zwei Miniatur Bullterriern, Hulki und Leo, zusammen. Während große Bullterrier aufgrund ihrer Vergangenheit als Kampfhunde immer noch keinen besonders guten Ruf haben, würden Miniatur Bullterrier oft als "so niedlich" betrachtet.
Das ist laut Julia Brinkmann aber ein Irrglaube. Es sei eher andersherum: "Die großen Bullterrier sind oft entspannter, sie haben ein besseres Nervenkostüm. Die Miniatur Bullterrier sind viel emotionaler und leichter erregbar."
Warum hat Julia Brinkmann sich dennoch für das Zusammenleben mit zwei Miniature Bull Terrier entschieden?
Ein impulsives Wesen: So ticken Miniatur Bullterrier
Ein bisschen hat es sich so ergeben. Als Kind und Jugendliche habe sie jede freie Minute im Tierheim Bielefeld verbracht, erzählt Julia Brinkmann. Schließlich absolvierte sie ein Schulpraktikum beim Verein "Bullterrier in Not". Im Anschluss daran nahm sie Hunde für den Verein in Pflege. In jeder Freistunde sei sie nach Hause gefahren, um die Hunde zu versorgen, erinnert sie sich. Einmal habe sie sogar einen im Rucksack mit in die Schule mitgenommen, weil er erst drei Wochen alt war und noch mit der Flasche gefüttert werden musste. Sie begleitete ehemalige Tierheimhunde und ihre Besitzer in einer Spiel- und Welpengruppe, studierte später Tiermedizin und machte eine Hundetrainerprüfung bei der IHK.
2017 landete der zweijährige Hulki über den Verein "Bullterrier in Not" bei ihr: Er war als Welpe viel zu früh aus Ungarn importiert worden. Er gehörte einer jungen Frau. Aufgrund von Problemen mit dem Kind der Halterin konnte er nicht in der Familie bleiben. Die Annäherungen des Kindes hätten Hulki immer wieder geängstigt und sein Drohverhalten sei nicht ausreichend ernst genommen worden, sagt Julia Brinkmann. Nach der Übernahme integrierte sich Hulki zunächst recht gut in den neuen Haushalt, aber nach wenigen Wochen fielen massive Verhaltensauffälligkeiten auf. Zudem zeigte er eine Ataxie – eine Störung der Bewegungskoordination, die auf einen Kleinhirndefekt zurückzuführen war – unklar, ob angeboren oder erworben.
Befand sich Hulki scheinbar im Ruhemodus, geriet er bei den kleinsten Geräuschen, Bewegungen oder Berührungen in den Angriffsmodus. Zurückzuführen sei das möglicherweise auf Traumata – auf Angst vor übergriffigem, unvorhersehbarem Verhalten durch Menschen. Draußen zeigte Hulki Jagdverhalten und verhielt sich aggressiv gegenüber Artgenossen. Hulki brachte Julia Brinkmann an ihre Grenzen. Manchmal sei es ihr peinlich gewesen, einen so impulsiven Hund zu haben. Aber sie schafften es. Hulki entwickelte sich mit den Jahren, wie Julia Brinkmann es nie für möglich gehalten hätte: Heute genießt er Kontaktliegen und geht einfach weg, wenn es ihm zu unruhig wird. "Für ein normales Familienleben wäre er aber nicht tragbar gewesen", sagt die Tierärztin heute.
Faszination trotz aller Herausforderungen
Der zweite Miniatur Bullterrier kam ebenfalls mit zwei Jahren über "Bullterrier in Not" zu ihr, weil die Halterin schwanger war. Leo wurde als Welpe aus Serbien importiert und fing mit Beginn der Geschlechtsreife nach einem Umzug an, die Halter zu attackieren. Bereits bei den Vorbesitzern sei er gesundheitlich genauestens abgeklärt worden. Vermutlich aufgrund einer verschleppten Lungenwurminfektion hatte sich eine Meningitis entwickelt. Zudem hat er Probleme mit dem Bewegungsapparat. Am ersten Tag nach der Übernahme habe sich Julia Brinkmann hingehockt, Leo angesprochen und die Hand ausgestreckt, woraufhin er sie angegriffen habe. Vom Aufsetzen eines Maulkorbs habe sie abgesehen, weil Leo aufgrund seiner Vorerfahrungen bereits beim Anblick Meideverhalten gezeigt habe. Leo sei ganz anders als Hulki: Einerseits scheinbar viel ruhiger und besonnener, andererseits „viel weiter weg“ von einem differenzierten Zeigen seiner Emotionen.
Am Anfang wollte Julia Brinkmann "zu schnell zu viel mit ihm erreichen" und versuchte das Akzeptieren von Berührungen gezielt zu trainieren. Sie stellte jedoch fest, dass dies den Hund überforderte und ging dazu über, erst einmal Sachen mit ihm zu machen, die ihm Spaß machten – zum Beispiel Targettraining und propriozeptive Übungen, also Übungen in instabilen Positionen. Auch akzeptierte sie, dass er nicht angefasst werden wollte. Durch dieses "Versprechen" verbesserte sich die Beziehung und die beiden stellten sich aufeinander ein. Inzwischen akzeptiert Leo alltägliche Berührungen (beispielsweise beim Anleinen) und hat gelernt, beim Abtrocknen der Pfoten aktiv mitzumachen.
Was Julia Brinkmann an Hulki und Leo besonders fasziniert: "Wenn die beiden entspannt sind, sind sie total witzig. Sie bringen mich zum Lachen. Ich mag, dass sie sich nicht gängeln lassen, aber sich andererseits gern auf Kooperation einlassen, wenn sie sich ernst genommen fühlen. Besonders Hulki führt mir vor Augen, was durch korrigierende Beziehungserfahrungen möglich ist. Aber wer weiß? Leos Reise hat ja gerade erst angefangen."
Mensch und Hund im Einklang: Der Einstieg in die Verhaltenstherapie
Miniatur Bullterrier: Klare Rahmen und Souveränität wichtig
Als Halterin oder Halter müsse man mit dem hohen Autonomiebedürfnis der Tiere umgehen können, unterstreicht Julia Brinkmann. Dies sei ganz besonders beim Training zu berücksichtigen. Auf Einschüchtern und Druck zu setzen, sei der falsche Weg. Wenn die Hunde eine schwierige Vorgeschichte haben, wie Hulki und Leo, sei es wichtig, einen vorhersehbaren Rahmen für sie zu schaffen.
Ein strukturierter Tagesablauf schafft laut Julia Brinkmann Erwartungssicherheit. Wenn die Miniatur Bullterrier wüssten, wann sie dran seien, könnten sie leichter akzeptieren, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Um Aufmerksamkeit zu bekommen, kämen sie teilweise auf interessante Ideen. Werde zum Beispiel Kreiseln durch Lachen verstärkt, könne dies schwere Verhaltensprobleme auslösen. Lerntheoretisch sei es eigentlich richtig, Aufmerksamkeit forderndes Verhalten zu ignorieren. Jedoch müsse man im Einzelfall prüfen, was zu tun sei, und unerwünschtes Verhalten gegebenenfalls unterbrechen, wenn der Hund sich zu sehr in etwas hineinsteigere.
Noch besser sei das vorausschauende Verhindern von hohen Erregungslagen. Das sei vonnöten, weil das Hochfahren, das ständige Heischen nach Aufmerksamkeit, für die Tiere Suchtfaktor haben könne. Julia Brinkmann: "Sie mögen es, wenn man über sie lacht und machen dafür gerne Quatsch und das kann sich dann verselbstständigen."
Warum sind die Miniatur Bullterrier, wie sie sind?
Julia Brinkmann führt die Eigenständigkeit der Miniature Bull Terrier auf ihre Vergangenheit als Niederjagdhunde zurück. Sie sollten es auch mit verteidigungsbereitem Wild aufnehmen und die „Ärmel hochkrempeln, wenn sie angegriffen werden, statt die Flucht zu ergreifen". Aufgrund des Wunsches des Menschen nach Extremen habe sich die Kopfform der Miniatur Bullterrier so verändert, dass sie teilweise nicht richtig fressen und trinken könnten. Die Auslese auf sehr kleine Hunde habe zu einer Verkleinerung der Zuchtbasis geführt. Verschiedene Erbkrankheiten seien bekannt, u. a. Probleme mit Augen, Herz, Haut und Knien. Zudem seien Stereotypien aus ihrer ausgeprägten Emotionalität heraus, aber auch aufgrund eingeschränkter Stresstoleranz durch mangelhafte Sozialisierung, überdurchschnittlich häufig.
Aus diesen Gründen rät Julia Brinkmann, es sich gut zu überlegen, ob man sich einen Miniatur Bullterrier anschaffen möchte. Die Rasse eigne sich nicht unbedingt als Familienhund. Auch wenn schon andere Hunde im Haushalt lebten, könne es schwierig werden: Vor allem wenn man einen älteren, ruhigeren Hund zu Hause habe, sollte er eine Rückzugsmöglichkeit haben. "Die Miniatur Bullterrier sind sozial, aber grenzenlos. Sie übertreiben gerne." Auf keinen Fall solle man sich darauf verlassen, dass die Hunde "das untereinander regeln". "Das wird nicht zu einem friedlichen Zusammenleben führen", so Julia Brinkmann.
Aber auch bei anderen Hunderassen solle man sich vorher genau über das Wesen der Tiere informieren: "Bei Rassezuchtverbänden werden die Eigenschaften oft sehr positiv dargestellt." Die Verhaltenstherapeutin empfiehlt, sich auch bei Vermittlungsorganisationen für die Wunschrasse schlauzumachen. "Die können oft auch zu möglichen Stolpersteinen differenziert Auskunft geben."
Julia Brinkmann hat ihr Leben sehr auf ihre Hunde ausgerichtet. "Es ist sehr strukturiert und durch die Bedürfnisse der Hunde auch etwas eingeschränkt." Man solle sich gut überlegen, welche Einschränkungen man in Kauf nehmen wolle, vor allem als Einzelperson. Sie unterstützt es, wenn mehrere Familien sich einen Hund teilen: "Das könnte ruhig mehr und mehr gesellschaftlicher Trend werden."
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"Die Terrier waren meine besten Therapeuten"
Viel Leid gebe es hinter verschlossenen Türen, sagt Julia Brinkmann. Sie beobachtet oft, dass Hundehalter zwar Zeit mit ihrem Tier verbringen, aber sich gar nicht ehrlich mit ihm beschäftigen – sondern zum Beispiel auf dem gemeinsamen Spaziergang die ganze Zeit am Handy herumspielen. Sie wünscht sich, dass Menschen sich wirklich mit ihrem Tier auseinandersetzen, aber auch ihr Bedürfnis nach Ruhe akzeptieren. Tiere können uns zwar nicht direkt sagen, was sie brauchen. Aber wir können lernen, ihre Körpersprache zu lesen und zu verstehen: "Die Tiere finden nicht immer toll, was wir toll finden."
Und auch wenn es nicht rundlaufe in der Beziehung zwischen Mensch und Tier könne man das als Gewinn betrachten: Man könne persönlich daraus lernen – wie sie es tat.
Julia Brinkmann sei manchmal ziemlich ungeduldig und verfalle in Aktionismus. Die Hunde verlangten aber die Fürsorge, die sie benötigten, Achtsamkeit für das Hier und Jetzt. „Sie haben mir beigebracht, dass Gras nicht schneller wächst, wenn man daran zieht und dass das Bieten und Anerkennen eines bestimmten Rahmens das Leben erleichtern kann. Tragfähige und nachhaltige Veränderung wird erst mit radikaler Akzeptanz des Ausgangspunktes möglich, sonst macht man sich etwas vor. Insofern waren die Tiere meine besten Therapeuten."
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