Als Stephanie Grath mit 18 ihren Führerschein in der Tasche hatte, unternahm sie ihre erste eigene Autofahrt. Sie fuhr aber nicht in eine Disco oder in ihr Lieblingscafé, wie man annehmen könnte. Sie machte auch keine Spritztour ans Meer oder in die Berge. Sie steuerte schnurstracks den Hundeplatz ihrer Heimatstadt Heidenheim an.
Verwunderlich war das nicht: "Ich zusammen mit Hunden – das war völlig normal. So kannte es die ganze Stadt", sagt sie heute und lacht.
Tierliebe von Anfang an
Tatsächlich war Stephanie Grath schon als Kind "tierverrückt". Sie brachte Eidechsen und Schnecken mit nach Hause. Katzen liefen ihr – angeblich – von der Schule aus hinterher. "Ich wusste damals schon mehr über die Tiere in der Kalahari als über den Heidenheimer Stadtwald." Einen Dämpfer bekam ihre Tierliebe, als zwei Hunde sie auf dem Weg zum Kindergarten ansprangen. "Etwa zwei Jahre hatte ich starke Angst vor Hunden", erinnert sie sich. Sogar vor dem Rauhaardackel einer Freundin. Darum kann sie es auch heute noch gut nachvollziehen, wenn Menschen eine Hundephobie haben und unterstützt Pädagogen bei der Bewältigung von Hundephobien. Ihre Angst war aber schlagartig weg, als sie mit den Schäferhundwelpen eines Familienfreundes in Kontakt kam. Sie schaffte es nicht nur, sich den Tieren zu nähern. Bald führte Stephanie Grath sie und weitere Nachbarschaftshunde zum Spazieren aus.
Einen eigenen Hund hatte sie aber während ihrer gesamten Kindheit und Jugend und auch mit 18 noch nicht. Ihr Vater, der eine eigene Bäckerei hatte, wollte Hunde aus Hygienegründen nicht im Haus haben. Mit 18 sollte es aber nicht mehr lange dauern, bis ein Hund einziehen würde. Bereits als junge Erwachsene begann Stephanie Grath mit "geliehenen Hunden" mit dem Hundesport, "weil es damals nichts anderes gab". Hundeschulen waren vor rund 30 Jahren in Deutschland noch nicht so verbreitet. Der Hundesport aber kam in Mode, erst der Vierkampf und Schutzhundesport, dann schwappte Agility aus England hinüber und schließlich Obedience. All diese Sportarten betrieb sie, am intensivsten aber den Schutzhundesport.
Agility als Lifestyle: Anna Hinze über Training, Wettkampf und Community
Als Stephanie Grath mit 20 ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau begann, war es endlich soweit: Ein Pflegehund zog bei ihr ein, obwohl "einziehen" es nicht richtig beschreibt. Stephanie Graths erster Hund wohnte zunächst draußen in einem Zwinger im Garten. Immerhin, dazu hatte sie ihren Vater überredet. Es verging aber nicht viel Zeit, bis er ab und zu mit ins Haus kommen durfte. Schließlich durfte er dann doch einziehen. Es war allerdings nur ein Hund auf Zeit: Sie musste ihn wieder abgeben.
Erste Erfahrungen im Hundetraining
Stephanie Grath wurde zur Bäckereifachangestellten ausgebildet – "Ich kenne mich mit Mischbrot aus!", verlor ihre eigentliche Leidenschaft aber nie aus den Augen. Als junge Erwachsene unternahm sie weite Reisen, die immer auch in Verbindung mit ihrer Tierliebe standen. Schon in ihren frühen Zwanzigern unterstützte sie eine Militärstaffel in Kenia mit ihrem Wissen rund ums Hundetraining. Seit einem kurzen Praktikum bei einer Tierärztin während ihrer Grundschulzeit wusste sie, auch wenn es ihr nicht immer bewusst war: Ich will Tierärztin werden. Ihr Problem: Sie hatte damals nur einen Realabschluss.
Damals sagte eine Freundin zu ihr: "Wenn du jetzt kein Abi machst, bleibst du Bäckereifachangestellte." Was okay gewesen wäre – aber eben nicht das, was Stephanie Grath erreichen wollte. Sie meldete sich am Wirtschaftsgymnasium an und holte das Abi nach. "Ich war die Älteste in der Klasse. Aber auch die Coole!", sagt sie heute augenzwinkernd. Cool war zum Beispiel, dass sie zum Abisturm einfach ihre Schäferhunde im Eingang der Schule sitzen ließ – kein Lehrer habe sich getraut, hindurch zu gehen. Nach dem Abi war ihr klar: "Jetzt muss ich auch studieren." Es lag auf der Hand, was: Tiermedizin.
Prägende Stationen auf dem Weg zur Tierärztin
Vorher aber absolvierte sie noch ein Praktikum beim Hundeinternat Antonienwald in Diepholz. Außerdem machte sie ein Freiwilliges Ökologisches Jahr als Magd auf einem Bauernhof in Ellwangen. Beides waren wichtige Stationen auf ihrem Weg: Das Hundeinternat hatte sie schon lange fasziniert, sie hatte sich dort schon als Schülerin beworben. "Alle anderen machten nach dem Abi etwas Cooles – durch Australien reisen oder so. Ich ging ins Hundeinternat." Dort arbeitete sie in drei Monaten mit etwa 20 verschiedenen Rassen und lernte viel über Hundetraining. Auch das FÖJ war eine prägende Zeit: Ihr gefiel das Zusammenleben im Einklang mit den Tieren und der Natur. Diese Zeit erlebte sie auch mit ihrem ersten ganz eigenen Hund Tusker, einem Deutschen Schäferhund von der Schafbachmühle. Er – benannt nach dem ersten Rhodesian Ridgeback, den sie in Kenia gesehen hatte – wurde auf dem Bauernhof groß.
Durch das FÖJ wurde Wartezeit auf den Numerus clausus angerechnet und Stephanie Grath wurde schließlich zum Tiermedizinstudium zugelassen. 2003 machte sie ihren Abschluss zur Tierärztin an der LMU München. 2004 eröffnete sie ihre eigene Praxis mit dem Schwerpunkt auf verhaltensauffälligen Tieren. Eine weitere Besonderheit: Sie bietet – mit großer Freude – Hausbesuche und einen mobilen Tierpflegedienst an.
Abenteuer Hausbesuch: Stephanie Grath über ihre Arbeit als mobile Tierärztin
Stephanie Graths zweite große Leidenschaft
Auch als fertige Tierärztin lernte sie immer weiter, wurde Gutachterin für Listenhunde, Gutachterin für Blindenführhundegespanne und TOP-Trainerin. Absolvierte Clickerseminare und Hühnerseminare bei der Tierakademie Scheuerhof und lernte bei Bob Bailey und Katja Frey. 2020 machte sie die Ausbildung zum Trainingsspezialisten. Alles waren weitere wichtige Stationen auf ihrem Weg.
Katja Freys Weg – von Hühnerseminaren zum Trainingsspezialisten
Besonders gerne denkt sie aber an ihre Reisen nach Kenia, Argentinien, Australien und in die USA zurück. Dieser weltweite Blick aufs Hundetraining war und ist für sie faszinierend, bereichernd. Sie erinnert sich: "Damals blickten alle nach Deutschland, wenn sie mehr über Tiertraining auf der Basis positiver Verstärkung erfahren wollten." Das Reisen in Verbindung mit dem Besuch auf Hundeplätzen oder bei Tierorganisationen, das ist ihr Ding. Vor der Corona-Pandemie gab sie in Griechenland Seminare für Menschen, die Hunde aus dem Land adoptieren wollten. Außerdem reiste sie mit Katja Frey nach Indien, um Hundetrainer auszubilden. Mit der Pandemie schlief das wieder ein.
Dennoch verlässt sie ihren "Mikrokosmos" Heidenheim immer wieder: Sie organisiert seit 20 Jahren Wüstentouren mit Nomaden in Tunesien. Zuletzt reiste sie mit einer Frau mit einer Sehbehinderung, danach mit einer Kindergruppe durch die Wüste in Tunesien. Sie liebt die Sahara, das einfache Leben unterwegs, die minimalistische Ausrüstung.
Engagement für Tiere und Menschen
Die Wüstentouren sind aber nur eines von vielen Dingen, die Stephanie Grath neben ihrem Job als Tierärztin macht. Seit 20 Jahren bietet sie tiergestützte Therapie im Seniorenheim an. Sie engagiert sich politisch, sitzt im Gemeinde- und Kreisrat und im Tierschutzausschuss der Tierärztekammer. Für die Bundeswehr wirkt sie außerdem bei einem Projekt zur tiergestützten Intervention mit. Die These ist: Soldatinnen und Soldaten, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, sollen durch tiergestützte Therapie schneller geheilt werden.
Wie schafft Stephanie Grath das alles? Die kurze Antwort: "Ich mache nichts anderes!" Urlaub verbinde sie fast immer mit ihrem Engagement für Tiere. Sie stehe früh auf und nutze jede Minute am Tag, um dazuzulernen. "Ich bin eben eine Macherin. Ich kann nicht einfach nur zuschauen." Wenn bei einem Seminar der Kaffee fehlt, koche sie eben welchen. Wenn sie merkt, dass etwas falsch laufe, engagiere sie sich dafür, dass es besser wird. Auch hätte sie sich beruflich vieles vorstellen können: "Kassiererin bei Netto oder Beraterin für Hotels – ich kann mir alles vorstellen, weil ich ja sowieso schon so viel mache." Nur in der Verwaltung, bei einer Kfz-Zulassungstelle zum Beispiel, wolle sie nicht unbedingt arbeiten – aber wer weiß, vielleicht sei das Mitarbeiterklima da eventuell so toll, dass es doch interessant sein könnte ...
Stephanie Graths Herzensaufgaben
Sehr gerne ist Stephanie Grath als Gutachterin für Blindenführhunde tätig. Das habe ihr eine völlig neue Welt eröffnet. Auch ihre Arbeit mit aggressiven Hunden nimmt sie als besonders erfüllend war: "Ich kann dadurch den Besitzern so viel Unterstützung und den Hunden so viel Erleichterung schenken. Die Menschen schränkt es ja so wahnsinnig ein, wenn sie Probleme mit ihrem Tier haben." Die Arbeit mit herausfordernden Tieren steht im Zentrum ihres Schaffens.
Bei aller Arbeit: Ab und zu mache sie auch mal nichts. Die beste Abwechslung von ihrem ausgefüllten Alltag findet sie in der Sahara: "Da heißt es von 100 auf 0 herunterfahren. Ich bekomme dort keine E-Mails und keine Anrufe. Nach ein paar Tagen weiß ich nicht mehr, welchen Tag wir haben." Dort lebt sie dann für eine Zeit in einer anderen Welt, einer anderen Kultur. Im Umgang mit fremden Kulturen sieht sie eine Parallele zum Umgang mit Hunden: "Die Tiere haben auch ihren ganz eigenen Hintergrund, ihre eigene Seele." Was sie sich wünscht: dass Menschen mehr Empathie gegenüber Tieren entwickelten, um ihre echten Bedürfnisse wahrzunehmen und sie besser zu verstehen.
Lies auch folgende Texte:
Agility und Co.: Welcher Hundesport passt zu dir und deinem Hund?
Ausbildung zum Assistenzhund: Ein Wegbegleiter, der das Leben verändert