Schon früh, während ihrer Kindheit in Italien, hatte Katharina Blesch eine enge Beziehung zu Tieren. Über eine Lehrerin kam sie zum Tierschutz und "ging völlig in dieser Arbeit auf".
"Ich habe schnell gesehen, wie schlecht es vielen Hunden geht", sagt Katharina Blesch heute. "Mir wurde klar, dass ich Tieren in irgendeiner Form helfen will."
Ihr Weg führte dann aber nicht weiter in den Tierschutz oder gar in eine Tierarztpraxis, sondern zurück zum Menschen: "Ich erkannte, dass es oft an ihnen liegt, wenn Tiere kein gutes Leben führen." Katharina Blesch beschloss, Psychologie zu studieren, um Menschen besser zu verstehen. Ein Schwerpunkt ihres Studiums war das Fach Tierrechtsethik.
Heute bietet Katharina Blesch als Psychologin, Fachkraft für tiergestützte Therapie, Tiertrainerin und Tierverhaltenstherapeutin tiergestützte Therapie an – unter dem Motto "Arbeit am Tier ist Arbeit am Selbst". Mit ihren Hunden Toni und Giulia und ihren Meerschweinchen – ja, auch die gibt es in der tiergestützten Therapie – unterstützt sie in einer Akutklinik für Psychotherapie psychisch erkrankte Menschen auf dem Weg in ein besseres Leben.
Eine zweite Chance für Tiere aus dem Tierschutz
Das Besondere bei Katharina Blesch: Alle Tiere, mit denen sie und ihr Team arbeiten, stammen aus dem Tierschutz. Giulia ist eine ehemalige Straßenhündin aus Rumänien, Toni ein ausgemusterter Jagdhund. Auch die Meerschweinchen kommen aus dem Tierschutz. "Wenn sich zwei, die beide nicht so viel Glück im Leben hatten, gegenseitig unterstützen, hat das für mich etwas Magisches", sagt Katharina Blesch. Als Therapiebegleithunde bekommen Giulia und Toni eine zweite Chance. Die Patientinnen und Patienten profitieren, weil der Kontakt mit den Tieren sie auf einer anderen Ebene erreicht als ein rein therapeutisches Gespräch.
Katharina Blesch: "Es macht so viel mit den Menschen, wenn sie einem Tier etwas Gutes tun." Sie überlegt kurz und fügt hinzu: "Es ist vielleicht der eigentlichste Ausdruck von Menschlichkeit, wenn man sich einem so hilflosen Wesen mit Liebe und Güte zuwendet." Das schaffe in den Therapiesitzungen atmosphärisch viel, gebe Sinn, Lebensbejahung und Kraft.
Was Menschen im Umgang mit Tieren vor allem lernen können: Empathie. Durch die Förderung von Empathie könne sich die soziale Kompetenz verbessern. Dass das funktionieren kann, hat Katharina Blesch besonders eindrücklich in der Zusammenarbeit mit Sexualstraftätern in einem Mailänder Gefängnis beobachtet: In dem Rehabilitationsprojekt arbeiteten sie mit Pferden zusammen. Eines Tages hockte in einem Gulli eine Kröte – ein Tier, das nicht bei jedem auf Begeisterung stößt. "Die Männer, die an dem Projekt teilnahmen, holten die Kröte mit viel Engagement gemeinsam aus dem Gulli", berichtet Katharina Blesch. Nur mit der festen Zusage, dass sie an einen guten, sicheren Ort kommen würde, übergaben sie die Kröte dem Personal. Sie machten sich große Sorgen um das Tier. "Ich bin mir sicher, dass sie diese Empathie bei der Arbeit mit den Pferden entwickelt haben." Sie geht noch einen Schritt weiter: "Die tiergestützte Therapie geht über die Arbeit an individuellen Themen hinaus. Sie hat auch einen gesellschaftlichen Wert."
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So profitieren Menschen von tiergestützter Therapie
Die meisten ihrer heutigen Patienten haben eine "depressive Symptomatik", leiden unter Angststörungen oder Erschöpfung. Vor allem unterstützt die tiergestützte Therapie sie dabei, Themen erlebbar, auf emotionaler Ebene erfahrbar zu machen. Wenn zum Beispiel eine Patientin mit einer Überlastungsreaktion – umgangssprachlich einem Burn-out – eine einfache Übung dadurch erschwert, dass sie sich viel weiter vom Tier entfernt als vorgegeben, lasse das Rückschlüsse auf das Verhalten im Beruf zu: Warum macht sie es sich so schwer? An diese Situation kann Katharina Blesch anknüpfen und mit der Patientin über Druck, Perfektion und Misserfolg sprechen.
"In der tiergestützen Therapie kommt es immer darauf an, ob und wie der Therapeut die Situationen aufgreift", sagt Katharina Blesch. Manchmal bietet es sich an, manchmal geht es aber auch einfach um den Kontakt zu den Tieren und die Ruhe und Achtsamkeit, die Menschen durch sie erfahren können.
Nicht jeder Hund, nicht jedes Tier ist für die tiergestützte Therapie geeignet. "Grundvoraussetzung ist, dass der Hund Freude hat, neue Menschen kennenzulernen", sagt Katharina Blesch. Bei Meerschweinchen und Kaninchen sei es wichtig, dass sie gerne hochgenommen und gestreichelt werden. "Nicht jedes Tier mag das", weiß die Therapeutin. Eine weitere Voraussetzung sei, dass das Tier kein aggressives Verhalten zeige. "An allem anderen kann man arbeiten", sagt Katharina Blesch. Unerwünschtes Verhalten sei kein Ausschlusskriterium. "Giulia war als ehemalige Straßenhündin immer auf Futtersuche und hat Mülleimer leer geräumt." Toni gehe seinem Jagdtrieb immer noch in Grenzen nach. Für die Therapie spiele das keine Rolle. Beide Tiere seien mit der Zeit nur noch kontaktfreudiger geworden. "Sie bekommen viel Liebe und Zuneigung", sagt Katharina Blesch.
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Die größte Herausforderung in der tiergestützten Therapie
Ihre größte Herausforderung sei, immer sicherzustellen, dass es den Tieren gut geht. "Das klingt jetzt banal", sagt sie. "Aber Hunde zeigen nicht immer so schnell, wie es ihnen wirklich geht." Umso wichtiger ist es, dass sie ihre Hunde gut kennt und auf sie achtgibt. Sie weiß, wann sie überfordert sind und was nicht mögen, zum Beispiel an den Ohren kraulen. "Und ja, es gibt Sitzungen, die für meine Hunde anstrengend sind", sagt sie. Zum Beispiel, wenn Patienten sehr verzweifelt sind, viel weinen oder einen Nervenzusammenbruch haben. Das geht auch an den Tieren nicht vorbei. Wichtig sei dann, was sie mit den Tieren vor und nach den Sitzungen mache, dass sie ein gesundes Gegenprogramm bekommen. Wie Therapeuten brauchen auch Giulia und Toni dann eine Art "Psychohygiene", in der Form von Ruhe, Spielen oder Streicheleinheiten.
Ob die Tiere verzweifelte Patienten trösten, komme immer auf das Tier und dessen Beziehung zum Menschen an. "Meine Hündin Guilia würde trösten, wenn sie einen Patienten schon kennt." Wichtig: Katharina Blesch animiert ihre Hunde nie zu trösten oder in bestimmter Weise auf den Patienten zu reagieren. "Die Therapeutin bin immer noch ich, nicht der Hund." Auch orientieren die Tiere sich häufig an ihrer Reaktion gegenüber einem Patienten.
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Ihr Engagement mit der tiergestützten Therapie geht weit über ihre berufliche Arbeit hinaus: Im Privatleben muss sie auffangen, was im Kontakt mit den Patienten gelaufen ist. So achtet sie zum Beispiel darauf, dass ihre Hunde ein möglichst entspanntes Wochenende haben. Manchmal trainiert sie ihren Hunden auch wieder ein Verhalten ab, das sie sich durch die Therapie angewöhnt haben: "Nicht jeder Patient hält sich daran, kein Futter mitzubringen. Dann gewöhnen die Tiere sich schon mal das Betteln an."
Insgesamt gehen ihre Patienten aber gut und respektvoll mit den Hunden um. Auch bereite sie sie auf die Arbeit mit den Tieren vor. "Wenn sie grundsätzlich das Interesse haben, Tiere kennenzulernen, informiere ich sie gerne auch spontan, dass sie bei der nächsten Sitzung dabei sind." Spontan, weil sie im Erstkontakt mit den Tieren schon immer viel ablesen und über einen Menschen lernen könne. "Haben Menschen Angst vor Hunden, kläre ich sie erst einmal über deren Verhalten auf und nehme ihnen so die Unsicherheit. "Eine Hundephobie ist kein Ausschlusskriterium für eine tiergestütze Therapie", unterstreicht sie.
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Vielen wird es erst durch den Kontakt mit Tieren möglich, wieder positive Beziehungserfahrungen zu sammeln und sich zu öffnen. Besonders oft erinnert sich Katharina Blesch an einen älteren, an Schizophrenie erkrankten Mann zurück, den sie in einem Zentrum für körperlich und geistig behinderte Menschen kennenlernte. "Er war mutistisch, sprach also nicht, und nahm viele Medikamente. Wenn man ihm zur Begrüßung die Hand geben wollte, hat er abgewunken." Was er mit dieser Geste genau sagen wollte, sei niemanden so recht klar geworden. Aber: Bei seiner ersten Begegnung mit einem Pferd streckte er die Hand aus, als wollte er das Tier begrüßen. Das machte er seitdem immer so, wenn er einem Pferd begegnete.
"Wie sehr muss ihn die Menschheit verletzt haben?", fragte Katharina Blesch sich, tief bewegt von seiner Reaktion. Menschen könnten anderen Menschen so viel Schlimmes antun. Das sieht sie als Psychologin immer wieder. Manchmal könnten Tiere es auf einer anderen Ebene, durch ihre Güte, wieder gut machen.
Ausbildung zur tiergestützten Therapie
Der Begriff der tiergestützten Therapie ist kein geschützter Begriff. Letztendlich kann jeder sie anbieten. Laut Katharina Blesch ist es am besten, wenn man als Voraussetzung schon eine therapeutische Grundausbildung mitbringt, zum Beispiel in der Ergotherapie, Physiotherapie oder im pädagogischen Bereich. Außerdem empfiehlt sie eine Weiterbildung bei einer Institution, die einem Dachverband wie z. B. ISAAT (International Society for Animal-assisted Therapy) angehört. Der Hund sollte als Therapiebegleithund ausgebildet sein.
Zur Vertiefung: Katharina Bleschs Bücher über tiergestützte Therapie
- Animal-Assisted Therapy with Dogs
- Tiergestützte Therapie mit Hunden. Grundlagen, Tierethik und Praxis der therapeutischen Arbeit.
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